8. Oktober 2021

Schlechte Gewohnheiten und warum du sie NICHT loswerden solltest

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Schlechte Gewohnheiten und warum du sie NICHT loswerden solltest
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Jede:r von uns kennt sie, jede:r hat sie – schlechte Gewohnheiten. Wie kann ich endlich mit dem Fingernägel kauen aufhören, zum Nichtraucher werden, seltener Kaffee trinken und weniger das Handy nutzen.

Genauso wette ich, kennst du die wunderbar reißerischen Artikel “Mit diesen schlechten Angewohnheiten solltest du Schluss machen”, “20 Tipps wie du schlechte Gewohnheiten los wirst”.

Nun, ich bin ganz anderer Meinung und sage “Du musst eben NICHT deine schlechten Angewohnheiten los werden”.

Warum? Und was du stattdessen tun kannst? Das verrat ich dir in diesem Podcast.
Hast du den Mut die Perspektive um 180 Grad zu drehen? Dann mach dich bereit auf einen völlig neuen Blickwinkel: Los geht’s!


Dieses Jahr wird alles anders, ich schaff es wirklich!Ganz sicher! Jedes Jahr die gleichen Phrasen an Silvester ins Sektglas murmeln. Erkennst du dich wieder? Tja ich auch – manchmal jedenfalls.

Es gibt die Dinge, die wollen wir ändern, weil wir glauben sie machen uns zu besseren Menschen, unser Leben leichter oder vielleicht auch wertvoller. Und dann gibt es diese Angewohnheiten, die gehen uns einfach nur noch auf die Nerven, und / oder sind unangenehm.

Das dumme mit diesen Gewohnheiten, sowohl jene die wir als gut einstufen, als auch die, für unser empfinden nach, schlechten:

Gewohnheiten sind Automatismen.

Ist dir schon einmal aufgefallen, dass du manche dieser “schlechten Angewohnheiten” schneller tust, als dir bewusst wird? Morgens der Griff zum Handy, nicht nur um den Wecker auszuschalten sondern um neugierig gleich mal zu sehen was auf Instagram passiert ist “ja irgendwie muss ich ja wach werden, sonst penn ich weiter”. Verschlafen in die Küche schlurfen, den Knopf der Kaffeemaschine gerade so durch den kleinen Spalt der Augenlider erwischen, dann erst mal von der Anstrengung eine Zigarette genießen.

Unser Gehirn verarbeitet so viele Dinge gleichzeitig, das kostet uns extrem viel Energie. Ich erspar dir die Neurobiologischen Fachbegriffe und Erklärungen, aber sagen wir es so:

Unser Gehirn wäre ohne Gewohnheiten vollkommen überfordert.

Nehmen wir an, du würdest alle Dinge die du tust, alle Entscheidungen die du triffst jeden Tag, jede Sekunde bewusst machen. Steig ich mit dem linken oder rechten Fuß vom Bett auf, schlüpf ich mit dem linken oder rechten Arm als erstes durchs Shirt, und wie genau putz ich noch einmal Zähne? Ja, auch das sind Gewohnheiten. Dein Gehirn würde so viel Zeit und Energie benötigen, dass du für anderes keine mehr übrig hättest. Durch Gewohnheiten spart unser Gehirn rund 50% Energie, wir laufen sozusagen auf Sparflamme. Dadurch erhalten wir uns einen kleinen Puffer für z.B. Stresssituationen, um trotzdem schnell reagieren zu können. 

Gewohnheiten zu entwickeln ist eigentlich nichts anderes als lernen. 

Das fängt schon ganz früh an, quasi bereits in den ersten Lebensjahren – denn da ist unser Gehirn noch am meisten formbar. Im Prinzip funktioniert es dann wie ein Lernprozess. Wir üben etwas aus, und je öfter wir das tun, umso “tiefer” wandert es, quasi vom Bewusstsein hin zu dem Verband aus Nervenzellen, der für Spontanität und Routinehandlungen zuständig ist.

Dort speichern wir diese Routine als automatische Handlung ab, und jedes Mal, wenn es aktiviert wird, befindet sich das Gehirn im Entspannungsmodus und “tut” einfach.

Keine Sorge, das passiert aber nicht nur im Kindesalter, sondern ist wandelbar auf das gesamte Leben – in jeder Lebensphase entwickeln wir neue Verhaltensmuster, die an unsere Situation angepasst sind.

Aber wenn wir neue Gewohnheiten lernen können,

Warum ist es so schwer schlechte Gewohnheiten los zu werden?

Das Wort Gewohnheit ist auch eigentlich die Erklärung für sich selbst. Es ist schwer, weil eben die Gewohnheit, der Automatismus schneller und ohne Kraftaufwand passiert als uns BEWUSST wird. Das heißt wir müssen in diese Handlung eingreifen noch ehe sie passieren – das kostet unheimlich viel Kraft und unser Gehirn ist nun einmal sehr sehr faul.

Das liegt unter Anderem auch daran, dass dieses Areal schon evolutionsgeschichtlich sehr alte Teile in unserem Gehirn sind. Routine und Wiederholung waren schon in der Urzeit überlebenswichtig. Unser Verstand, in neueren Hirnarealen, hat darauf keinen Einfluss. Diese Vorgänge laufen so blitzschnell ab, dass die Zigarette schneller angezündet ist, als unser unser Bewusstsein eingreifen kann “Hey stop! Ich wollte doch aufhören!”.

Kommen wir nun zu meiner ursprünglichen Aussage.

3 Gründe, warum du deine schlechten Gewohnheiten NICHT los werden solltest: 

Wenn du dir gerade den Kopf schüttelst und denkst “ja super, soll ich dann einfach mit dem ungesunden Mist weiter machen, oder was?” bleib dran, darauf werd ich noch genauer eingehen.

Wenn wir uns auf das ausrotten von schlechten Gewohnheiten konzentrieren, führt das zu vielerlei … mh sagen wir… Komplikationen.

  1. Ist es sehr sehr schwer in einen automatischen Prozess der so unbewusst gesteuert wird und abläuft einzugreifen, dass es uns wirklich sehr viel Kraft und Energie kostet. Unser Gehirn wird viel beschäftigter und ausgelaugter sein. Das kann Auswirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit und auch Leistungsfähigkeit haben. Die Folge sind also Schwierigkeiten in der Arbeit, aber auch im Alltag.
  2. Wenn wir eine Gewohnheit loswerden.. würden.. dann ist da auf einmal eine Lücke. Was passiert statt dessen? Irgendwas fehlt.. und genau das ist, was es uns auch noch einmal viel viel schwieriger macht. Wenn du es gewohnt bist, morgens einen Kaffee zu trinken, und dich nun mit aller Kraft anstrengst das nicht zu tun, was tust du dann? Und was ist die Folge daraus, dass es fehlt? Während dir der Kaffee dich etwas wacher gemacht hat, oder dir einen Energie-Boost verliehen hat, wie wirst du nun stattdessen wach? Wenn du sonst 5x während der Arbeite eine Raucherpause gemacht hast, wo bleibt dann nun deine wenigen Minuten Verschnaufspause – stehst du dann herum und starrst Löcher in die Luft, oder arbeitest gar bis Feierabend durch?
  3. Wenn wir uns schlechte Gewohnheiten abtrainieren wollen, dann fokussieren wir uns permanent auf genau diese schlechten Angewohnheiten. Um in diesen automatischen Prozesse einzugreifen müssen wir uns ja intensiv damit auseinander setzen. Unsere Konzentration, unser Fokus fällt also unentwegt auf etwas negatives. Das zieht uns auch herunter und nochmal mehr, wenn wir es dann nicht geschafft haben und wieder in das “alte Muster” verfallen.

Aber jetzt sind so Sachen wie Rauchen, der Griff in die Chipstüte oder abgekaute Nägel vielleicht trotzdem belastend und schlecht für uns. Das kann man ja jetzt einfach nicht so guten Gewissens weiter machen und hinnehmen? Da muss es doch etwas geben?

Mein Tipp lautet an der Stelle:

Stärken ausbauen, um Schwächen zu kompensieren.

Um unsere Gewohnheiten zu verändern, ist es in erster Linie wichtig den Auslöser bzw. den Grund der Gewohnheit zu hinterfragen. Bleiben wir einmal beim Beispiel Rauchen oder Nägel kauen. Beide haben in der Regel etwas gemeinsam. Sie helfen vielen mit Stress umzugehen. Klar gibt es viele andere Gründe, diese musst bitte für dich individuell hinterfragen und herausfinden.

Aber der Punkt ist: wenn wir der Grund oder den Auslöser kennen, können wir anfangen mit anderen Dingen positiv entgegen zu wirken. Das könnte dann so aussehen:

Wenn du merkst, das Druck bzw. Stress aufkommt der dich belastet und du merkst, du hast den Drang nach einer Zigarette. Dann versuch den nicht zu ignorieren und dagegen anzukämpfen, sondern erlaube dir, das im ersten Schritt zu akzeptieren, weil dein Gehirn gelernt hat, das jetzt zu brauchen. Des Weiteren kannst du dann nach und nach für dich positive Routinen einzubauen. Zum Beispiel könntest du dir angewöhnen, immer wenn sich dein Gewohnheits-Auslöser zu Wort meldet, also quasi deine Ursache des Ganzen, 2 Minuten eine kurze Meditations-Achtsamkeits Übung zu machen und anschließend erst zur Zigarette zu greifen.

Wichtig ist mir nur zusätzlich zu erwähnen, dass gerade was Rauchen betrifft vor allem auch noch körperliche Abhängigkeiten mit reinspielen, von daher miss dieses Beispiel nochmal tiefer und weitgehender betrachtet werden, als “nur” durch Kompensation.

Aber pauschal gesagt, kann so die für dich schlechte Gewohnheit immer mehr in den Hintergrund rücken, weil eine Neue und für dich besser anfühlende Gewohnheit, den Platz übernimmt.

Betrachten wir kurz das Beispiel Fingernägel kauen. Hierfür gibt es allerlei Hilfsmittel auf dem Markt wie z.B. Bitternagellacke o.Ä. Diese helfen möglicherweise, die Finger nicht mehr in den Mund zu nehmen, es löst aber nicht das eigentliche Problem bzw. die Ursache dahinter. Zum einen kann es, wie vorhin erwähnt Stressbedingt sein, für aber Beispielsweise Neurodiverse (ADHS, Autisten etc.) Menschen, kann es Stimming sein. In diesem Fall würde es bedeuten, wenn nun zwanghaft versucht wird nicht mehr an den Nägeln zu kauen, dass dieses Stimming fehlt. Da wären wir wieder auf Punkt 2 von vorhin. Das Stimming kann eine wichtige Methode für Betroffene sein.

Als Alternative gibt es also z.B. die Möglichkeit einer Beißkette für Erwachsene, ähnlich wie man es aus dem Babybedarf kennt. Es könnte also eine neue Gewohnheit entwickelt werden, dass zur Beißkette gegriffen wird. So nimmt diese nach und nach den Platz ein und die schlechte Angewohnheit darf sich Stückchen für Stückchen von uns verabschieden.

Eine Gehirnfreundliche Kompensation und Änderung.

Gib dir unbedingt Zeit und erzwinge nichts. Gewohnheiten sind ein natürlicher Prozess und du kannst nicht von heute auf morgen plötzlich hunderte tolle Kompensationen antrainieren. Im Durchschnitt braucht es gut 60 Tage an Wiederholungen und Durchführungen, bis wir etwas als Automatismus verinnerlicht haben.

Sei nett und verständnisvoll mit dir. Verstehe dein Gehirn als Freund und nicht als Feind. Im Grunde ist es sogar ganz faszinierend was diese Automatischen Prozesse alles für dich tun, um dir dein Leben zu erleichtern.

Also, fokussier dich auf positive Ergänzungen statt das ausrotten von Negativen und eins nach dem Anderen.

Ich hoffe ich konnte dir damit eine neue Perspektive mit auf den Weg geben, und dich zum nachdenken anregen.

Ich wünsch dir ganz viel Spaß und Erfolg – bis zum nächste Mal!

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